Nachfolgender Text stammt aus dem schweizerischen Blatt "Sophist"
(Konturen der Gegenwart 2 – 2007) und er gab mir einiges zu denken:
"Prolog eines Pessimisten
«There is no conspiracy. Nobody is in charge.
It’s a headless blunder operating under
the illusion of a master plan.» – Worth in The Cube
Philosophieren heisst, sich in der Welt zu orientieren.
Der Versuch des Sichzurechtfindens verlangt
nach einer Charakterisierung der jeweiligen
Lebenswelt und einem Selbstverständnis des
Menschen. Der delphische Appell zur Selbsterkenntnis
(γνῶθι σαυτόν) war für Platon die Richtschnur
einer gelingenden Lebensführung, wobei
Selbstverständnis und Weltverständnis als zwei
Seiten derselben Medaille zu verstehen sind. Die
heutige Zeit als eine unter Informationsüberflutung
zu Erfolg und Fortschritt auffordernde Dynamik
versprüht allerdings den verhängnisvollen Duft
einer unbekümmerten Orientierungslosigkeit und
Ohnmacht. Die Frage nach dem Menschen scheint
zu verstummen angesichts der überwältigenden
Präsenz einer selbstdynamisch organisierten Kultürlichkeit,
Medialität, Technizität und der damit
einhergehenden Funktionalisierung und Entpersonalisierung
des sich alltäglich mit bürokratischen
Apparaten herumschlagenden Konsumenten,
Produzenten und Anbieters namens «Mensch».
Ist diese im Namen der eigenen Wichtigkeit sich
einstellende Entpersonalisierung die Konsequenz
einer bis ans Ende geführten Aufklärung über den
mythischen Aberglauben unserer Vorfahren? Endet
das übermenschliche Mächte entpersonifizierende
und entzaubernde Geschäft des Aufklärers in einer
Selbstentpersonalisierung des Menschen als eines
Wesens, welches sich in der Renaissance zum Urheber
einer zweiten, kultürlichen Welt ernannt hat
und damit ein Kind zur Welt brachte, das sich längst
von den Zügeln seines Vaters befreit hat und auf
eigenen Beinen steht?
Um des Selbstverständnisses willen bleibt also zu
fragen: «Wie weit hat’s der Weltgeist gebracht?».
Wir leben heute in einer technisierten Zeit, in
welcher der «Fetischcharakter der Ware», die All-
gegenwart einer sublimierten, unhintergehbaren
und gesichtslosen Macht, der rasende Stillstand
einer mediokratisch überwölbten Konsumkultur,
die zur Kenntnisnahme verpflichtende Flut medial
aufbereiteter Information und die von einer emanzipierten
Ökonomie diktierten Profitzwänge sich
in einem unübersichtlichen Ensemble neuer Mächte
versammeln. Die mit der «digitalen Revolution»
zusehends überhand nehmende Technisierung und
Elektronisierung der Lebenswelt händigt den Mitteln
die Macht über die damit zu erreichenden Zwecke
aus, indem sie die Zwecke nach den Mitteln
sich richten lässt und die Nachfrage zu einem ohnmächtigen
Schattendasein des Angebots versklavt.
Mit der prometheischen Entzauberung der Welt
ging eine ungeahnte Entmachtung des Menschen
einher, die ihn übermenschlichen Einflüssen aussetzt,
welche ihm tagtäglich die Leber aus dem Leib
fressen – ganz im Sinne des Goetheschen Diktums:
«Die ich rief, die Geister, Werd ich nun nicht los».
Die von Menschenhand hervorgerufenen, global
wirkenden Mächte der Technik, Kulturindustrie,
Ökonomie und Politik haben sich verselbstständigt
und folgen einer scheinbar undurchschaubaren
Logik von Trends.
Jeder Wissensanspruch setzt sich einem kränkenden
Ideologieverdacht aus, der selbst als die vielleicht
perfideste Form einer ideologischen Haltung
verstanden werden muss. Der durch die skeptische
Tradition infiltrierte Kulturrelativismus, ein sich
für unausweichlich haltender und angeblich harmloser
Pragmatismus und der als Freiheitsrealisierung
getarnte Fortschrittswahn, welcher sich – mit
Walter Benjamin – dem «Limes des Fortschritts»
als Erlösung anvertraut, glauben sich eines Besseren
und vollziehen, was man mit Blick auf frühere
Zeiten «Kolonialismus» nannte.
Verinnerlichtes Wissen hat einer nahezu uneingeschränkten
Abrufbarkeit von Information Platz zu
schaffen. Die Privatsphäre schwindet, jeder überwacht
jeden und die allein übrig bleibende Strategie
ist diejenige des medialen Exhibitionisten, welcher
sich eine eigene Page im Studiverzeichnis, auf You-
Tube oder gar auf YouPorn eingerichtet hat und
im übervollen Zugabteil, sein Handy am Ohr, die
privatesten Angelegenheiten diskutiert – es ist die
Strategie desjenigen, der sich, um Umberto Eco zu
paraphrasieren, dadurch uninteressant macht, dass
er nicht versucht, sich zu maskieren. Der Verlust
der Privatsphäre kränkt jedoch nicht nur den gegen
seinen Willen Überwachten, sondern kann auch
für den illegitimen Voyeur und unmündigen Süchtling
«zu Risiken und Nebenwirkungen» führen.
Ob Fernseher, Internet, Spielkonsole oder Handy,
sie alle setzen sich den «unerhörten» moralischen
Anklagerufen vielbeschäftigter Erzieher aus: Der
sogenannte Liberalismus habe vielerorts ein Mass
an Indifferenz und Haltlosigkeit angenommen, welches
sich dem anything goes – dieser «Unnorm» der
Postmodernität – sukzessive assimiliere.
Wir werden meist ungewollt – und zunehmend
unbemerkt – überflutet mit Gratiszeitungen,
Werbung und Bullshit im Fernsehen und frönen
dabei einem masslosen Konsum massenkultureller
Überflüssigkeiten (I shop, therefore I am). Ich möchte
konkret werden: Heute kann man mindestens
zwei Trends des Kinos ausmachen, die als mediale
Destillate dessen gelten können, was man früher
«Zeitgeist» genannt hätte. Das Kino als der paradigmatische
Ort des Zusammenfalls von Erfahrbarkeit
der Illusion und Illusion der Erfahrung verifiziert
heutzutage den ermüdenden Trend, gegen Ende des
Films jedes Mal aufs Neue dem Zuschauer die Realitätsferne
der Hauptdarsteller zu indoktrinieren
– Matrix I, Fight Club, Vanilla Sky, Eternal Sunshine
of the Spotless Mind, The Beautiful Mind, Identity,
The Machinist, Das geheime Fenster usf. Dabei wird
das oft beruhigende Ende von Kindergeschichten
«Dann wachte er auf – und alles war nur ein Traum»
umgedeutet, indem die ungeheure Macht und
Unhintergehbarkeit des Scheins der KinobesucherIn
durch die subversive Befehlsgewalt der Bilder
glaubhaft gemacht wird – ein Schein, an dessen
Unumgänglichkeit die im «Zeitalter der Medien»
lebenden Menschen sich allerdings längst gewöhnt
haben. Als zweite Auffälligkeit der filmischen
Kunst und zugleich als paradigmatisches Symptom
des heutigen Medieninteresses ist die Tatsache zu
registrieren, dass Filme wie World Trade Center
oder Grounding zu Kassenschlagern werden: ein
Anzeichen für die zunehmende Unhinterfragtheit
einer Konsumentenhaltung, welche die Faktizität
des Katastrophalen lieber (oder nochmal) durch das
allen vertraute Gewand der medialen Vermittlung
auf sich wirken lassen will – oder es einfach erst
glaubt, wenn der Sachverhalt gehörig medial entstellt
wird. Die wirkliche Begebenheit ereignet sich
fader, kälter, ohne Zeitlupe und ohne Musik. Die
filmische Inszenierung dagegen ist anziehender,
aufregender und mitreissender. Immer weiter verschiebt
sich der hermeneutische Primat des Weltverständnisses
auf die Seite des künstlich-medial
Aufbereiteten – das Abbild wird zum Vorbild und
«das Wirkliche zum Abbild seiner Bilder» (Frank
Hartmann): Wenn schreibtischversessene Arbeitsmenschen
Ferien machen oder an Wochenenden
wandern gehen, freuen sie sich entweder darüber,
wie ähnlich die zuvor schon in Bildern gesehene
Landschaft den memorierten Prospekt-Bildern –
den Google-Earth-Landschaften und bald vielleicht
den Second-World-Weltkopien – ist oder sie bedauern,
dass die Gegend doch nicht ganz den Bildern
und Beschreibungen entspricht, die sie tagtäglich
in Zeitungen, Reiseprospekten, auf DVDs oder im
Internet zu sehen bekamen.
Die heutige Spass- und Freizeitgesellschaft tobt
ihre Sensationslust und «Erlebnisserei» (Burghart
Schmidt) mit Vorliebe an oberflächlichem Kitsch
aus – und dies mit einer permanenten zynischen
Selbstüberbietung der eigenen Bedeutungslosigkeit
und einer gewissen fröhlichen Ignoranz gegenüber
gesellschaftlichen Problemen. Die aus Ideologieverdacht
bei Seite geschobene Suche nach einem
Sinn, einem dahinterliegenden bedeutsamen Worumwillen
des heutigen Lifestyles, unterwirft sich
einem Bekenntnis zur Oberfläche. Überall begegnen
wir (Selbst-)Inszenierungen, Simulationen, welche
allesamt die ironische Intensivierung des Sinnlosen
zelebrieren. Was sich davon abheben will und sich
mit Hilfe der Attribute «alternativ», «gesellschaftskritisch
», «subkulturell» und «nicht am Mainstream
orientiert» empfiehlt, ist nichts weiter als das, wofür
die zunehmend grösser werdende Zielgruppe pseudointellektueller
Studenten eher Geld ausgibt – und
vielleicht gehört dieser Text dazu.
Diese Worte mögen pessimistisch klingen. Was den
Pessimismus betrifft, möchte ich mich allerdings
dem aphoristischen Satiriker und Journalisten Gabriel
Laub anschliessen, der meinte: «Pessimismus
wird nur von den Optimisten verbreitet. Die Pessimisten
sparen ihn für schlechtere Zeiten auf.»
(Yves Bossart)"
Freitag, 13. Juni 2008
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2 Kommentare:
Si! Si!
das ist ein scherz, oder? das war doch nicht wirklich euer appartement?
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